331-Nie_Vergessen

Als wölfin glaub ich nicht, dass ich der mensch bin, mit dem man einfach so aus heiterem himmel ins gespräch kommt. Überhaupt reagier ich ja schwerhörig, wenn man von mir in einem lauten ambiente einen smalltalk haben will. Warum denn auch sich so viel antun – schmerzhaft – für dermaßen sinnfreies geschwätz! und gerade deswegen bleiben mir die wenigen anekdoten, in denen mir einfach so aus heiterem himmel durchaus wichtige dinge mitgeteilt wurden – von vorher und auch nachher komplett unbekannten personen.

  • in jener zeit, als ich noch bahn fahre, lande ich eines schönen tages unversehens in kainisch. vom bahnhof aus bin ich per rad unterwegs zu einem see. Es spricht mich ein älterer herr aus der schweiz an, der kurioserweise mit seiner gattin unterwegs ist. Wie geht DAS denn? Na jedenfalls sagt er mir aus heiterem himmel „nun wissen sie, jetzt bin ich pensioniert, in der schweiz und ich habe durch meine wertpapiere zu der pension dazu ein höheres einkommen, als ich es in der schweiz als arbeitender mensch hatte“. Schön für ihn, denk ich mir dazu. Dies geschah in den 90er jahren – lang bevor überhaupt auch nur eine krise am horizont erkennbar war. Im sinne der ökonomischen gerechtigkeit bleibt uns heute armen leuten zu hoffen, dass der vom glück gebenedeite zwischenzeitlich entweder von uns gegangen ist oder in einem heim vor sich hin darbt. Weil gegen soviel saturierten wohlstand bin ich als oame oaweiterin ein bisschen allergisch. Ich nahms aber gelassen, damals. Der untergang dieser welt war einst ja noch nicht abzusehen gewesen.
  • vor 5 jahren war ich zufällig die veterinär-uni am tag der offenen tür besuchen. Ich wollte mir im vet-shop einfach nur was zum trinken kaufen und flott weiterlaufen. Da fängt doch der shop-inhaber mir im zuge des verkaufens eines blöden wassers die geschichte des shops zu erzählen an und seinen ganzen bezug dazu. Ich frage mich bis heute, warum. Mich berührte das damals einfach. Ich fand es bewegend, wie der mit seinem shop mitlebt. Er erzählte, wie zu anfang des semesters alle begeistert dort gummistiefel kaufen. What the fyck, ich wollte doch afoch nur a wasser, bittescheen! Aber auch hier nahm ich stoisch, freundlich gelassen. Zwischenzeitlich wurde sein von ihm so geliebtes geschäft innerhalb des hauses um ein paar meter verlegt, da raum für die kinder-auffang-stätte benötigt wurde. Wie mag er dies wohl verkraftet haben. Ich geh davon aus, er ist zwischenzeitlich verdientermaßen in pension. Die begeisterung jenes mannes berührt mich bis heute sehr.
  • Jährlich hab ich kalenderjagd bis tief in den sommer hinein. Erst vorgestern kaufte ich mir um je einen euro einen conceptum und einen moleskine fürs laufende jahr. Das gehört bei mir dazu – dieses hobby kostet weniger als einen lauen kaffee. Und so gabs anfang 2011 rote riesenkalender beim nanu-nana shop. Ich packte mir so einen. waren zu anfang des jahres immer noch vergleichsweise teure 5 euro. Und es geschah eine begegnung wie sie sonst nie geschieht. kalenderjägerin trifft auf kalenderjäger. Ein ziemlich alter herr, der offenbar aus deutschland war. Wir fingen an, in höchsten tönen von haptisch geilen kalender-editionen zu schwärmen. Auch er hatte die gattin dabei. Warum tun die das? Nun erzählte mir der alte mann stolz, er hätte noch kalender aus dem „soundsovielten“ reich. Auch hier reagierte ich stoisch, freundlich gelassen. Nichts konnte mich schocken, garnix. Der mann liebte schließlich kalender genauso leidenschaftlich wie (m)ich. Am ende sagte er zu mir „ich werde Sie nie vergessen“. Genau dadurch vergaß auch ich ihn bis heute nie. Es ist 6.5 jahre her, vielleicht ist der mann schon verstorben. Ich glaubs fast nicht.
  • in floridsdorf steig ich aus der schnellbahn. Erneut ein älterer, kommunikativer herr, der mich anspricht. Aus dem nichts heraus erzählt er mir, wie er und genossen einst als gewerkschafter für arbeitnehmerrechte gekämpft haben. Als er mir dies erzählt, berührt es mich innerlich ungefähr so, wie wenn in china ein sack reis umfällt. Später erst wird mir die bedeutung seiner worte gewahr: viele jahre später nämlich. heute, wo die arbeitnehmerrechte erneut mit füßen getreten werden. alle errungenschaften sind dahingerafft. jene aber, die einst dafür gekämpft hatten, sind alle noch gnädig mit der frühpension ins froh-saturierte ausgedinge gesandt worden. und wir jungen, die wir auch schon alt sind, dürfen nun in der prekarität ums nackte überleben kämpfen, teils nicht mal mit einem dach überm kopf. seine worte waren weise und wahr. Auch sie bewegen mich bis heute zutiefst.