196-Haymos_Weggang

in vier jahren zwei begräbnisse. eines verwandt – das andere beruflich induziert. das verwandte: eine über-neunzigjährige dame, angehörigenkreis schon recht überschaubar, da sie alle überlebt hat. bei einem so großen begräbnis wie dem heutigen – möge er hier haymo genannt werden – war ich kaum je: und es war bei mir trotz nur oberflächlichen – professionellen – ‘kennens’ eine unglaubliche betroffenheit da. in zwei bussen fuhren wir von der ex-firma los, in eine kleine stadt im nachbarbundesland. es war eine wunderschöne aufbahrungshalle aus holz. sofort suchte ich mir eine säule, an der ich für die zeit des stehens meine lädierte wirbelsäule abstützen konnte: es wäre vermessen gewesen, einen sitzplatz zu belegen, denn die halle füllte sich mehr und mehr. haymo war ein mensch, dem ich in unkenntnis drei dinge angedichtet habe, und zwar völlig intuitiv geleitet. ich billigte ihm eine gitarre zu, hispanophiles interesse und evtl motorrad-affinität. und siehe da, mit ersterem hatte ich absolut recht gehabt. er hatte in bands gespielt.
es sprachen vier leute: vier männer. ich las die imposanten kranz aufschriften. natürlich kannte ich seine familie nicht. aber am nächstliegenden kranz konnte man die namen der nahestehenden erraten, die in der ersten reihe saßen. am wichtigsten war sein vater in dem, was er gesagt hatte. er gab einen genauen abriss über haymos leben. und da erfuhr ich alles, was ich wissen wollte. meine ahnung war: ich kann leichter von diesem chef abschied nehmen, je mehr ich über seine interessen und lebensumstände weiß. es gibt gewisse verstorbene, die integriere ich in meine erinnerungen und damit fortan in mein leben. ich verspüre einen ganz intensiven interessensschwall gegenüber verstorbenen, der eigentlich nur gegenüber prominenten angebracht wäre.
hier aber konnte ich mein gedenken nur in den zweieinhalb mit unglaublich, unglaublich vielen menschen, verbrachten stunden ausleben. ich durfte den vier nächsten angehörigen meine anteilnahme aussprechen, und will auch diese nie wieder vergessen. meine worte erschienen mir so platt. die vier menschen mussten gewiss weit über hundert menschen die hände drücken – sich pausenlos dieselben worte anhören. aber das ist eben einfach teil des rituals. meine worte erschienen mir so platt. ich wollte soviel sagen. ich hätte gern wissen wollen, ob haymo über den weg der klassikgitarre zu rock&pop gekommen ist: sweet home chicago. rock on. BOP. jedes detail ist noch ganz frisch in meiner erinnerung. die sonne schien regelrecht unverschämt. sie entspricht damit haymos gemüt. er ist mir vorbild. ich hätt mich gern über soviel sachlich-fachliches mit ihm ausgetauscht aber welches bild hätte das denn gemacht. er war als chef halt einfach viel zu hoch. jetzt bleiben nur die gedanken an einen fast unbekannten, mit denen ich wieder alleine bin und meine website, wie auch die hochwohlgeneigte leserschaft müssen darunter nun ‘leiden’.
mein bild war jenes: wir gehen da raus aus der aufbahrungshalle und die musiker warten bis ganz zum schluss. ein lichtstrahl fällt auf einen musiker. ich seh mir die musiker gut an. sie haben viel zeit mit haymo verbracht. ein gstandener älterer mann hat ein etwas rötliches gesicht und die sonne fällt auf seine komplett verweinte gesichtshaut. ich kann nicht mehr tun, als ihm durch meinen blick meine anteilnahme zu senden, den blick dann zu senken und weiterzugehen. im tross. wir warten so lange wie nie, bis wir diese erdschaufel bekommen. ich lass die staubkörner fast einzeln da runterrieseln. sie werden ihm immer nah sein. was ich ihm an erde da mitgeb, wird da liegen und immer nah sein. damit alle geschichten, die ich heute über diesen wunderbaren menschen erfahren durfte. er war geheimnisvoll und charismatisch gewesen. dein geist ist bei wittgenstein, haymo: du spielst mit bowie. /583w_pixabayPIC_piro4d