126-Das_Seltene_Wesen

der österreicher – das seltene wesen ODER ‘der kippende gutmensch‘: so hatte die story heißen sollen, die mir gerade einfiel und die ich nach rechtlich und eidesstattlich anerkannten gutmensch kriterien hier reinschütten kann, darf oder muss. das erste indiz, um die seltenheit des ösis anzuzeigen, geschah mir, als ich seltenerweise im umkreis eines reputierten türkischen vereins irgendwie dringend einen kaffee wollte. also ging ich – von flauem grundgefühl umflort – in eine klitsche, die einen solchen versprach. einen depperten stehcafe to go nämlich. ja und das war dann eben dieses türkische lokal mit einer sehr lieben, aber doch entschlossenen kopftuchfrau drinnen. sie hatte sich nämlich stante pede dazu entschlossen, mir ganz einfach keinen kaffee zu verkaufen. vielleicht hatte ich den kaffee in der falschen sprache verlangt. ich konnte damals nur ein einziges wort türkisch: hundert heißt gesicht, und gesicht heißt ‘yüz’ afoch nur yüz. aber ich wollte das gesicht der frau ja nicht. noch weniger hätte ich für irgendwas hundert euro zahlen wollen. ich war wie vor den kopf gestoßen. es muss an meinem aussehen gelegen haben. ich war eh noch viel jünger, aber ich sah halt aus wie eine ösi-frau. das kann nicht sehr förderlich zur erlangung eines kaffees gewesen sein. heute wüsste ich mir zu helfen. ich schreibe mir zuhaus zusammen, wie ich einen kaffee in landessprache verlangen muss und bringe den dann weitgehend akzentfrei in leidlich gutem türkisch zur sprache. ich war damals nur einfach auf so etwas nicht vorbereitet. es gibt also lokale, in dem man als ösi niemand ist und auch ostentativ nicht bedient wird. es ist sehr umstritten, folgendes zu sagen, aber vielleicht hätte ja tatsächlich ein kopftuch geholfen. schließlich habe ich nix gegen kopftücher, wo meine haare doch ohnehin nur eine einzige dünne katastrophe sind. ja und das andre mal, als mir der ösi als seltenes wesen auffiel, das war ausgerechnet bei einer volksschule (ich glaube nahe volkertplatz), wo ja indiskreterweise zu schulbeginn die namen der erstklassler stehen und – nun wie soll ichs ausdrücken, ohne von der gedankenpolizei zur anzeige gebracht zu werden – es tun mir die volksschullehrer leid. die wenigen verbliebenen ösis und ösi-prinzessinnen, deren eltern es tatsächlich noch wagen, in diese kollabierende welt sowas wie nachkommen zu setzen, die ziehen sich teuren geldes – ob leistbar oder nicht – in privatschulen zurück, und nicht nur das: da gehen auch die kids bessergestellter neu-ösis hin. weil sie sich das in der namenlosen volksschule auch nicht mehr antun wollen. das nicht weiterkommen. das langsamsein im unterricht. und dann der latente revierkampf im hof. ich bin so alt und so froh drüber. dass das zu meiner zeit in den siebzigern noch so anders war. wir konnten kinder sein. kinder, einfach unschuldig, naiv und ahnungslos. wir waren nicht die extra terrestrals. das schachbrettmuster hat sich gedreht.
und grad wo ich im kopf diese story entwerfe und sie gedankenpolizeilich auf die geltende gesetzgebung abstimme, kreuzt 20 meter hinter mir ein gekippter gutmensch meinen weg. also ein so ein zaudirres, hyperaktiv, anämisch, vegetarisch verhungertes manderl mit vermutlich fein-intellektuellen gesichtszügen, welches laut vor sich hinspricht. und gern hätt ich mich hinzugesellt, was ihm denn grad so über die leber läuft, aber ich wollt mir keinen irren stalker einhandeln. das ist was passieren wird. die emsigen bahnhofklatscher von gestern, sind die ausgebrannten sozialfälle von morgen. sie sind hyperintellektuell, mehrfach akademisch bemastered, aber auch sie werden dereinst mit ‘ausgeleiertem schuhwerk und schlechten zähnen’ (so hatte eine vielfach reputierte profil-berichterstatterin einst blauwähler beschrieben), werden sie daherkommen, unsere heute noch vielbeachtete bobo- und startup szene, und werden durch das allerkleinste rädchen, das ihr wissen wertlos macht, von der gesellschaft ausgestoßen. als zu alt, als zu teuer. die intelligentsia von heute, es sind die prinzen hochwohlgeborener wohlstandsbürger von gestern: sie werden erstmals erfahren was armut ist, sie werden auch erfahren, was ausgegrenzt sein bedeutet. zum beispiel wenn sie einen verpissten stehcafe haben wollen und ihn nicht in der entsprechenden lokalsprache bestellen können. doch steht der brunzikaffee nur metaphorisch für noch so vieles andere. dann haben unsre prinzen von gestern, unsre bahnhofklatschenden gutschis von heute, und sozialfälle von morgen (man findet auch mit knapp 40 als wirtschaftsakademiker/in) keine (adäquate/unbefristete) arbeit mehr) ZWEI möglichkeiten. entweder zu jenen verbrauchten plebs werden, deren ich zum beispiel eine bin und für diese vergessenen ich meine kleine stimme erhebe – oder sie werden eben ‘kippen’ wie jener schilddrüsenüberfunktionierende adhs vegetarier, welcher heute lautmonologisierend 20 meter hinter mir wutentbrannt einherstak.721w pic by gellinger pixabay, danke.